Verhasst-geliebtes Deutschland
Manfred Eisner hat im Februar im vollbesetzten Spiegelsaal sein aktuelles Buch „Verhasst-geliebtes Deutschland“ vorgestellt, eine Chronik seiner deutsch-jüdischen Familie.

Eisners Vater ist der Musiker Erich Eisner, Pianist, Kapellmeister und Komponist, in Prag geboren und nach dem im Kaiserreich geltenden Abstammungsprinzip österreichischer Staatsbürger. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich freiwillig bei der deutschen Armee und erhielt 1920 als Dank für seinen geleisteten Kriegsdienst die deutsche Staatsbürgerschaft. Erich Eisner machte eine musikalische Ausbildung, wurde Dirigent und feierte große Erfolge an deutschen Bühnen.
Foto: Sammlung Manfred Eisner
Eine bewegende Familiengeschichte
Im Mai 1934 heiratete Erich Eisner die Fabrikantentochter Elsa Knoblauch. Sie wurden von dem Rabbiner Dr. Leo Bärwald vermählt. Gefeiert wurde im noblen Parkhotel in Bad Tölz und das Paar verbrachte seine Flitterwochen auf der dalmatinischen Insel Raab. Das war damals noch möglich, weil seitens der Braut und deren Familie eine entsprechende solide finanzielle Grundlage bestand.
Aber die Ausgrenzung hatte bereits begonnen. Seit Anfang der 30er-Jahre nahmen die Repressalien gegenüber jüdischen Künstlern zu. Die Engagements wurden für die Geächteten immer schwieriger und zuletzt unmöglich. Nach der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 wurde am 22. September 1933 die Reichskulturkammer gegründet. Jeder Kulturschaffende war gezwungen, dort Mitglied zu werden. Dafür benötigte man einen Ariernachweis. Wer sich nicht daran hielt, wurde ausgeschlossen. Der Ausschluss bedeutete Berufsverbot. Erich Eisner organisierte mit Dr. Singer den Jüdischen Kulturbund in Bayern und bildete ein Symphonieorchester aus 50 Musikern, das unter seiner Leitung von 1933 bis 1938 insgesamt 18 erfolgreiche Konzerte gab. Sie fanden in der Münchener Hauptsynagoge und in größeren Betsälen in anderen Städten Bayerns statt.
Manfred Eisner erblickte am 18. Mai 1935 das Licht der Welt. Er war ein wohlbehütetes, glückliches Kind. Die Misere der Eltern, der Verwandten und sämtlicher Juden blieben ihm vorerst verborgen.
Von der Reichskristallnacht war die Firma seiner Großeltern nicht betroffen, wahrscheinlich ließ der Name „Deutsch-Amerikanische Schuhgesellschaft“ keine jüdischen Eigentümer vermuten. Aber der Vater von Manfred Eisner wurde am nächsten Morgen verhaftet und in das KZ Dachau gebracht. Der befreundete Rechtsanwalt Dr. Rottner, ein Mitglied der NSDAP, erreichte nach 9 Tagen die Entlassung aus dem KZ, die für Eisner mit der umgehenden Ausreise aus dem Deutschen Reich verbunden war. Glücklicherweise hatte die gesamte Familie Knoblauch gültige Visa für England. Nur die 67-jährige Großmutter durfte wegen ihres Alters dort nicht einreisen. Erich Eisner kam bei einem Vetter in Derby unter. Die anderen Familienmitglieder folgten im Sommer 1939. Nur Manfred und seine Mutter wollten auf das Visum für die Großmutter warten. Als sie sich am 31. August 1939 doch zur Ausreise entschlossen, wurden sie zurückgeschickt, da der 2. Weltkrieg ausgebrochen war.
Da die geplante Zusammenführung der Familie in England nicht mehr möglich war, gelang es dem Vater, Kontakt zu einem Bekannten in Bolivien aufzunehmen. Erich Eisner bekam einen Arbeitsvertrag auf dem Landwirtschaftsgut des Freundes und emigrierte nach Bolivien. Inzwischen hatte sich die Lage für die Juden in Deutschland erheblich zugespitzt. Manfred Eisner und seine Mutter erhielten dann aber doch noch ein Einreisevisum für Bolivien. Nach einigen Widrigkeiten konnten sie im April 1940 über Genua nach Bolivien ausreisen. Im Mai war die Familie in La Paz endlich wieder vereint. Für die Großmutter konnten sie nichts tun, sie wurde ins KZ Theresienstadt deportiert und starb 1945.
In Bolivien gelang es der Familie Eisner ein neues Leben aufzubauen. Der Vater wandte sich wieder der Musik zu, das Orquesta Sinfonica Nacional wurde unter seiner Leitung sehr erfolgreich. Zwischen 1945 und 1955 dirigierte Erich Eisner fast 100 Konzerte und brachte dem bolivianischen Publikum die Musik von Bach, Händel, Mozart und weiteren klassischen Komponisten näher. Manfred Eisner wuchs in Bolivien auf, ging dort zur Schule, machte sein Abitur und begann in Uruguay ein Studium der Veterinärmedizin.
Nach dem Tod des Vaters kehrten Manfred Eisner und seine Mutter 1957 mit gemischten Gefühlen zurück nach Deutschland. Heimatgefühle empfand er nicht, eher Abneigung, Argwohn und eine große Unsicherheit. Mit der Zeit gelang es ihm jedoch, in seinem Heimatland wieder Fuß zu fassen.

Während Manfred Eisner im Spiegelsaal aus seine Geschichte vorlas, wurden Fotos seiner Familie und aus seinem Leben auf eine Leinwand projiziert. Im Saal war es sehr still, das Publikum war fasziniert, nachdenklich und sichtlich bewegt.
Foto: privat/Leselust e.V.
„Ich lebe gern hier“, sagte Manfred Eisner „und ich werde nicht noch einmal blankem Hass und drohender Gewalt weichen. Ich überlasse niemals kampflos diese einmalige Bundesrepublik Deutschland jenen rechtsextremen Parteien und Gruppierungen, die trotz wiederholter Namensänderung bis zum heutigen Tag ihr elendes, völkisches Gedankengut pflegen. Beruflich habe ich alle fünf Kontinente bereist und war immer froh, zu meinem geliebten Fleckchen Heimaterde hinter dem Elbdeich in Schleswig-Holstein zurückzukehren. Schon seit vielen Jahren haben Freunde und Bekannte, vor allem aber meine liebe Frau Anke, angeregt, von meinem und dem bewegten Leben meiner Familie Zeugnis abzulegen. Angesichts der heutigen schlimmen Ereignisse, des brutalen ethnischen Vernichtungskrieges, den ein wiederauferstandener Hitler namens Putin angezettelt hat, setze ich einen symbolischen Endpunkt an diese Familienchronik, um einen bescheidenen Beitrag gegen das Vergessen zu leisten. Nicht umsonst heißt es: Nie wieder ist jetzt.“

Den Pressetext der Wilsterschen Zeitung finden Sie hier.
Bei uns geht es weiter am 18. März, 19:30 Uhr, im Spiegelsaal des Neuen Rathauses, mit Kästner & Kästner und „Tod im Schatten der Elbflut“. Tatort Hafen – Tod im Schatten der Elbflut, dem 2. Band der rasanten Krimi-Reihe rund um den Hamburger Hafen: Dem Team bleiben nur 24 Stunden, um ein Leben zu retten – während Hamburg von einem Jahrhundert-Unwetter bedroht wird. Ein gewaltiges Orkantief wühlt die Nordsee auf und zieht auf Hamburg zu. Wasserschutz-Polizist Tom Bendixen bereitet den Hafen unter Hochdruck auf eine Sturmflut vor. Währenddessen wird in der Elbe die Leiche eines Afrikaners gefunden.
Mordermittlerin Jonna Jacobi findet heraus, dass der Tote auf einem Containerschiff war, das eben in den Hafen eingelaufen ist. Bei der Durchsuchung des Schiffes entdeckt die Wasserschutzpolizei eine blinde Passagierin mit einem kleinen Kind – außerdem scheint ein Crewmitglied zu fehlen. Jonna bittet Charlotte Severin vom Opferschutz, die verängstigte Mutter zu betreuen und zu befragen. Inzwischen gilt Warnstufe 3, der Hafen wird evakuiert. Doch irgendwo auf dem Gelände schwebt ein weiterer blinder Passagier in Lebensgefahr: Das Wasser steigt unerbittlich – und der Mann wird als Zeuge nicht nur von der Polizei gesucht…
Bitte melden Sie sich zur Lesung an bei der Stadtbücherei Wilster, Telefon 04823/921336. Der Eintritt ist frei. Wir freuen uns jedoch wie immer sehr über Ihre Spende und sind auch darauf angewiesen; ohne Ihr Engagement können wir keine Autoren engagieren.
Text: Birgit Böhnisch
Fotos: Manfred Eisner, Titel: www.heikepohl.de