Eine märchenhafte Lesung im Jahr 2014
Im September 2014 hatten wir die große Ehre, Heide Simonis zur Lesung bei uns in Wilster begrüßen zu dürfen.
Heute, bald 10 Jahre später, schließen wir uns den Worten des amtierenden Ministerpräsidenten Daniel Günter an und trauern um „eine große Politikerin und um eine leidenschaftliche Schleswig-Holsteinerin“. Heide Simonis hat mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Engagement und ihrer Geradlinigkeit Schleswig-Holstein noch liebenswerter gemacht.
Unser Mitgefühl und unser Beileid gelten der Familie von Heide Simonis.
Heide Simonis zu Gast in Wilster (Bild/Archiv 2014: Heike Pohl)
Pressetext von 2014, Dat Keesblatt ut Wilster
Prominenter Besuch bei märchenhafter Hitze
Wer am vergangenen Donnerstagabend nach Wilster gekommen war, um etwas von der Strahlkraft einer durchsetzungsstarken, beredten und machtbewussten Politikerin und ersten Ministerpräsidentin Deutschlands, Heide Simonis, live und in Farbe erhaschen zu können, der dürfte in seinen Erwartungen enttäuscht worden sein.
Ebenso wie derjenige, der in der Lesung zu Simonis’ etwas anderem Märchenbuch „Alles Märchen! Insider packen aus“ literarische Höhenflüge vermutet hatte.
Wer aber gekommen war, um einer sympathischen und lebensklugen und in ihrer politischen Karriere äußerst erfolgreichen Frau zu begegnen, wer die Stufen in den prunkvollen Spiegelsaal im Neuen Rathaus genommen hatte, um sich von Simonis’ jüngster Leidenschaft, der Schreiberei, überraschen zu lassen, der dürfte genau richtig gewesen sein.
Heide Simonis ist an Parkinson erkrankt, und das sieht und hört man ihr auch an. Weil sie um die Wirkung der äußeren Anzeichen ihrer Krankheit wissen dürfte, darf man davon ausgehen, dass sie selbst damit deutlich weniger Probleme hat als vielleicht der ein oder andere Zuhörer, der sich um die schmal gewordene und zarte Erscheinung der ehemals kraftvollen Person Simonis Sorgen macht.
Märchen sind wortgewordene Moral. Sie haben seit Jahrhunderten den Menschen und seine Schwächen zum Mittelpunkt. Es dürfte nicht von ungefähr kommen, dass Fragen der Moral zum literarischen Thema für diese Frau geworden sind, die im Wahlkampf 2005 durch Verrat in den Reihen der eigenen Partei das vorzeitige Aus ihrer politischen Karriere akzeptieren musste.
„Heide Simonis verfügt auch über das Florett“, hat Bürgermeister a.D. Henning Voscherau einmal über die Politikerin Heide Simonis in einem Interview gesagt. Auch wenn sie den Degen nicht zur Attacke gezückt in der Hand hält, ihre leisen und humorvollen Spitzen in ihren Erzählungen und ihre Antworten auf die Fragen von Birgit Böhnisch, Vorstandsvorsitzende des Verein Leselust e.V., lassen zumindest deutlich werden, dass diese Frau sehr genau um den Spagat zwischen Macht und Moral weiß.
Bis auf den letzten Platz besetzt war der bei spätsommerlicher Hitze ausgebuchte Spiegelsaal, und allein der Begrüßungsapplaus der Gäste macht von Anfang an deutlich: Hier geht zwar auch um ein Buch und um eine Lesung, hier geht es aber mehr noch darum, die Lebensleistung einer Frau zu würdigen, die jüngst zur Ehrenbürgerin des Landes Schleswig-Holstein ernannt wurde.
Nein, ihre Würde, wie das manche Stimmen im Nachgang zur verlorenen Wahl 2005 orakelten, ihre Würde hat Heide Simonis ganz bestimmt nicht verloren. Im Gegenteil, diese Frau hat so viel davon, dass sie sich in ihrer körperlichen Schwäche ohne Wenn und Aber ihrem Publikum präsentiert. Zu ihren „Rheintöchtern“, der autobiographischen Schilderung ihrer Kindheit und Jugend in Bonn und ihren augenzwinkernd vorgetragenen Märchen soll sich in Bälde ein Krimi hinzugesellen.
Stoff genug dürfte Frau Simonis haben.
Der vielzitierte „Heidemörder“ wird die ehemalige Ministerpräsidentin nach ihren eigenen Worten „… wohl bis ans Ende meines Lebens begleiten.“ Da war sie selbst Opfer in einem dramatischen Krimi, dessen Täter bis heute nicht bekannt ist.
Vielleicht hat Heide Simonis beim Schreiben ihres Krimis genügend Abstand zum politischen Geschehen, um ihr ohne Zweifel vorhandenes Insiderwissen nicht mehr länger zwischen den Seiten Grimm’scher Märchen zu verstecken? Sollte sie wirklich auspacken, dürfte das spannender werden, als Mord und Totschlag das ohnehin schon sind.
Originaltext
Fotos und Text:
Heike Pohl