Lesung vom 18.02.24 mit Anja Marschall
Der Spiegelsaal war am 18. Februar vollbesetzt, 90 Gäste wollten Anja Marschall sehen und hören. Ihr Buch „Als der Sturm kam“ ist ein Roman und gleichzeitig eine Dokumentation der Ereignisse während der schweren Sturmflut im Februar 1962 in Hamburg.
Anja Marschall erklärte, dass alles Beschriebene auf wahren Ereignissen basiere. Aus Respekt vor den Opfern habe sie aber die Erlebnisse der Sturmnacht fiktiven Personen zugeordnet oder an andere Orte verlegt. Dennoch sei es so oder so geschehen, in all seiner Grausamkeit.
Reale Personen im Roman
Wie immer bei den Büchern von Anja Marschall, treten auch hier reale Personen auf, allen voran Helmut Schmidt, der damalige Polizei- und spätere Innensenator. Er war gerade neu im Amt und hatte die Aufgabe, in seiner Antrittsrede fünf Tage nach der Katastrophe über die traurigen Ereignisse zu berichten. Weitere reale Personen sind Werner Eilers, der leitende Regierungsdirektor, und Polizeioberrat Martin Leddin.
Ebenfalls wichtig sind die vielen Menschen, die in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 zu Helden wurden. Die, die ihren Nachbarn geholfen haben, die Hubschrauberpiloten, die Bundeswehrsoldaten, die Polizisten und viele andere, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um andere zu retten.
Tolle Recherche
Wie immer hat Anja Marschall exzellent recherchiert. Als ich ihr Buch gelesen habe, war vieles wieder da. Damals war ich 9 Jahre alt und lebte in Hamburg Finkenwerder. Am 16.02.1962 wurde ich durch die Kirchenglocken geweckt, aus dem Fenster sahen wir, wie das Wasser hinter dem Haus innerhalb weniger Minuten auf 2 Meter und dann langsamer auf 4 Meter anstieg. In Finkenwerder war einer der ersten Deiche gebrochen, später waren es mehr als 60 Deichbrüche. Wir hatten Glück, unsere Wohnung lag im 3. Stock und aus der Erdgeschosswohnung konnten wir noch viele Möbel bergen und bei uns einlagern.
Ich habe es selbst erlebt!
Am nächsten Morgen sahen wir überall Wasser und tote Tiere, es war kalt, wir hatten keinen Strom und wenig zu essen, unsere Vorräte und Kohlen waren im Keller. Aber bald kam die Bundeswehr mit Sturmbooten und Hubschraubern und wir wurden versorgt.
Viel schlimmer hat es Hamburg Wilhelmsburg getroffen. Anja Marschall beschreibt das Schicksal der Bewohner. Die Lauben wurden vom Wasser überspült. Die meisten Lauben waren Holzhäuser, sie hielten der Flut nicht stand. Die Kinder, Frauen und Männer versuchten höher gelegene Gebiete zu erreichen. Wo die Häuser noch standen, kletterten sie auf die Dächer oder in die Bäume. Von dort retteten die Hubschrauberpiloten die Menschen. Trotzdem gab es 315 Tote in dieser Nacht.
Aber es wäre noch viel schlimmer gekommen, wenn Helmut Schmidt nicht Konteradmiral Rogge vom Wehrbereich 1 in Kiel und den alliierten Oberkommandierenden in Europa, General Lauris Norstad, um Hilfe gebeten hätte. Dadurch waren zeitweise über 7500 Soldaten mit geeigneten Gerät im Einsatz sowie Helikopter und unzählige andere Einheiten, darunter viele Pioniere. Das habe vielen Menschen das Leben gerettet, bekräftigte Anja Marschall.
Helmut Schmidt hat in jener Nacht seine Karriere aufs Spiel gesetzt. Laut Grundgesetz war es nicht möglich, Streitkräfte im Falle eines inneren Notstandes auf deutschem Boden einzusetzen. Das Parlament hätte angehört werden müssen, aber dann wäre die Hilfe zu spät gekommen. Einige Gegner des jungen Senators versuchten später, Helmut Schmidt einen Strick daraus zu drehen, aber sie scheiterten, berichtete Anja Marschall.
Diese Lesung war sehr emotional, viele im Publikum hatten, so wie ich, eigene Erinnerungen an die Katastrophe. Der Sturm fegte ja auch über die Wilstermarsch und es war keineswegs sicher, dass die Elbdeiche hier halten würden.
Text: Birgit Böhnisch
Titel-Foto: Wikipedia/ Gerhard Pietsch, Hamburg
Cover: Screenshot von der Verlagsseite Piper
Und so geht es weiter im März:
Am 21. März wird Ewald Frie mit seinem Buch „Ein Hof und elf Geschwister“ bei uns zu Gast sein. Bitte melden Sie sich zur Lesung an bei der Stadtbücherei Wilster, Telefon 04823/921336. Der Eintritt ist frei.
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